Kristen Stewart gibt Prinzessin Diana und sagt: «Ihre Kraft in den eigenen Körper aufzunehmen, ist etwas Besonderes»

Erschienen in: Neue Zürcher Zeitung | 14. Januar 2022
Link zur OriginalveröffentlichungZurück zur Übersicht

Die amerikanische Schauspielerin beweist in ihrer neusten Arbeit, dass sie zu den Besten ihrer Generation gehört. Im Gespräch erklärt sie, wie sie sich der Figur für den Film «Spencer» angenähert hat – und warum sie Lady Di so mag.

Sie ist klein, zart und auf eine fast altmodische Weise schön. Erst die Kamera verschafft Kristen Stewart das Filmstar-Charisma. In Wirklichkeit ist die amerikanische Schauspielerin unauffällig und versucht ihre Umgebung weder bewusst zu beeindrucken noch auf Distanz zu halten: Das zeigt sich bei diesem Gespräch in London. Stattdessen bemüht sie sich in ihrem tastenden, die Themen umkreisenden Gesprächsstil, so präzise wie möglich Auskunft über ihre Arbeit zu geben, ohne ihr eigentliches Geheimnis preisgeben zu können – oder zu wollen.

Zum Interviewtermin erscheint sie mit kurzem, blond gefärbtem Haar, sie trägt Tweed-Jacke und -Hose, hat schwarz lackierte Fingernägel und ein Sortiment unzusammenhängender, kleiner Tattoos. Stewart ist erst 31 Jahre alt, aber es gibt sie schon eine Ewigkeit: In über vierzig Filmen hat sie gespielt, sie begann damit schon als Kind. Früh zeigte sich grosser Erfolg, und sie probierte vieles. In manchen ihrer Filme trat sie nur auf, weil ihr im Drehbuch eine einzelne Szene gefiel. Eine Handvoll ihrer Arbeiten findet sie gesamthaft wirklich gelungen. Heute neigt sie Produktionen mit schmaleren Budgets zu, Kunstfilmen, die sie fordern.

Auf der Spur eines Stars

Stewart wurde in eine Filmfamilie hineingeboren und zog als Zwölfjährige in einem David-Fincher-Film mit Jodie Foster («Panic Room», 2002) erste Aufmerksamkeit auf sich. Die Teenager-Filmserie der «Twilight»-Saga bescherte ihr ab 2008 Weltstar-Status mit allem, was dazugehört. Die Liebesgeschichte zwischen ihr und ihrem Co-Star Robert Pattinson fütterte die Klatschspalten: Das blasse, junge Paar aus den Filmen schien zur Freude des Publikums von der Leinwand herabgestiegen zu sein. Stewart hasste es, dass ihr Privatleben zum Entertainment-Stoff geworden war.

Das alles liegt nun lange zurück. Doch bei der Arbeit in Pablo Larraíns neuem Film über Prinzessin Diana, «Spencer», konnte Kristen Stewart auf eigene Erfahrungen mit dem Ruhm zurückgreifen. Natürlich seien ihre Erlebnisse keinesfalls mit dem Mass an öffentlicher Aufmerksamkeit zu vergleichen, das Diana begleitet hatte, sagt sie: «Aber wenn man ständig das Gefühl hat, beobachtet zu werden, kann einen das verändern.» Nun sah sich die Schauspielerin auf einmal in der Rolle einer Person, die «das tut, was wir alle tun», nämlich sich anhand weniger Informationen ein eigenes Bild von Stars zu machen.

Sie tat das etwas gründlicher als «wir alle»: Monatelang studierte sie Dianas Akzent und deren Manierismen und liess sie «einfliessen, wo sie mir richtig erschienen. Aber zugleich musste ich ihr mein eigenes Wesen einatmen.» Denn Stewart war nie die Art von Schauspielerin, die mit aller Anstrengung versucht, jemand zu imitieren: «Ich kann das, aber es zieht mich normalerweise nicht an.» Rollen müssen etwas mit ihr zu tun haben.

Oft spielt Stewart wilde oder melancholische Mädchen, und sie füllt dieses Klischee mit etwas Echtem, Lebensnahem, wie Joan Jett in dem Film «The Runaways» (2010), Marylou in «On the Road» (2012), Jean Seberg im Bio-Pic über die Aktivistin und Schauspielerin (2019) oder Sabina im Actionfilm «Charlie’s Angels» (2019). Für die Darstellung der Assistentin einer von Juliette Binoche gespielten Filmdiva in «Clouds of Sils Maria» (2014) erhielt sie einen César, den wichtigsten französischen Filmpreis. Mit demselben Filmemacher, Olivier Assayas, drehte sie «Personal Shopper» (2016), eine raffinierte Geistergeschichte über eine Trauernde, die auf ein Zeichen ihres toten Bruders wartet. Die Werke von Assayas gehören zu ihren liebsten, wie sie sagt.

Unkomfortables Erinnerungsbild

Mit Diana nimmt Kristen Stewart wieder den Platz einer Aussenseiterin ein. Es ist eine heikle Rolle, die leicht hätte kitschig geraten können, wie 2013 «Diana» mit Naomi Watts gezeigt hatte. Denn es war immer leicht gewesen, Diana als Trostfigur zu sehen, als Engel der Unmündigen und Vernachlässigten, Helferin der Kranken. Oft war sie ja so dargestellt worden, und es entsprach zugleich dem Selbstbild der Frau, die sich gern zur «Königin der Herzen» stilisierte.

Der Mythologisierung entkommt auch «Spencer» nicht, im Gegenteil. Er lässt sich tief auf den Mythos ein. «Man kann nicht über die Prinzessin schreiben oder sprechen, ohne ihren Mythos zu erklären oder auszuschmücken», hatte die Schriftstellerin Hilary Mantel 2017 zum 20. Todestag von Diana geschrieben. Und es ist, als ob «Spencer» genau diesen Worten von Mantel gefolgt wäre: «Ihre Geschichte ist archaisch und überpersönlich.» Nur Fragmente der Wirklichkeit finden den Weg auf die Leinwand. Der Film imaginiert ein Weihnachtsfest auf einem Schloss im Nebel, mit eisig überheblichen Verwandten, einem feindseligen Ehemann und einer verzweifelten, zunehmend paranoiden Hauptfigur.

In «Spencer», betitelt nach Dianas Familiennamen, zeigt Kristen Stewart diese als Produkt ihrer Gesellschaftsklasse, als Gefangene der Perfektionsansprüche ihrer Umgebung und ihrer selbst und damit als Frau, die sich abhandengekommen ist. Was man über Diana weiss oder über sie zu wissen glaubt, wird zum Schauermärchen einer unglücklichen Prinzessin im Spukschloss verdichtet, umgeben von einer königlichen Schreckensfamilie, der die Vergangenheit und die Gegenwart eins sind und für die es keine Zukunft gibt, wie es an einer Stelle im Film heisst.

Was Pablo Larraín hier inszeniert, erscheint wie ein Totentanz. Der unheimliche Soundtrack des Radiohead-Bandmitglieds Jonny Greenwood begleitet ihn musikalisch. Das Drehbuch schrieb Stephen Knight, der Autor der Serie «Peaky Blinders», der sich so gut auf das Pathos des Britischseins versteht. Und Kristen Stewart überhöht und transzendiert die Rolle in diesem Arthouse-Film, der mit einem Bio-Pic nichts mehr zu tun hat.

Bisher hatten besondere Stärken dieser Schauspielerin in der Zurückhaltung gelegen und in einer scheinbar anstrengungslosen naturalistischen Darstellung. Diana aber wird zur poetischen Figur in einer fast schon extremen Stilisierung – wie sie derselbe Regisseur übrigens auch Jacqueline Kennedy in seinem Vorgängerfilm «Jackie» (2016) angedeihen liess. Stewart spielt eine fast wahnhaft entrückte Zerbrechliche, aber ohne den Heiligenschein der Märtyrerin: Sie strapaziert beim Zusehen auch die Nerven, und man bekommt eine Ahnung davon, dass Diana diesen Effekt im wirklichen Leben ebenfalls gehabt haben mag. Stewart entwirft ein zwiespältiges, unkomfortables Erinnerungsbild einer Frau.

Sie will viel

«In dem Film geht es ganz offensichtlich um Schmerz», stellt die Schauspielerin fest. Und sie schwärmt zugleich von der schönsten schauspielerischen Erfahrung ihres Lebens und spricht von der anhaltenden, positiven Kraft und Wirkung, die von der berühmten Verstorbenen ausgehe. «Das in seinen eigenen Körper aufzunehmen, ist etwas Besonderes.» Diana sei so besonders, sagt sie: «Ich mag sie so sehr. All ihre kleinen Arten der Kommunikation zu entschlüsseln, hat Spass gemacht. Es war wie ein riesiges Puzzle von Gefühlen. Sich diese Haltung ‹anzuziehen›, sie zu ‹tragen›, fühlte sich gut an.»

«Abgelegt» habe sie Diana immer noch nicht, hält sie fest. Das ist auch insofern nicht verwunderlich, als diese Rolle ihrer Karriere einen weiteren Schub verleihen dürfte. Denn die Lobeshymnen für «Spencer», die aufgrund von Festivals und Nominierungen für Filmpreise wie die Golden Globes schon vor dem Kinostart einsetzten, reissen nicht ab. Vielleicht bestehen sogar Chancen auf einen Oscar.

Dabei hat Kristen Stewart unterdessen wieder einen neuen Film gedreht: David Cronenbergs «Crimes of the Future», der in diesem Jahr in die Kinos kommen soll. Und sie plant, demnächst selbst Regie zu führen, in einer Leinwandfassung von Lidia Yuknavitchs Memoiren «The Chronology of Water». «I want a lot», stellt Stewart fest. Und dies mit einer Klarheit und Entschiedenheit, die ihr sonst im Gespräch nicht liegt. Sie will viel vom Leben und von ihrer Arbeit, was für sie ein und dasselbe ist. Dabei hat sie einen weiten Weg zurückgelegt – vom Kinderstar über das Teenager-Idol bis hin zur Schauspielerin, die sich zu den Besten ihrer Generation hochgespielt hat.